EuGH und UPC weiten ihre Gerichtsbarkeit aus – Was das für Patentstreitigkeiten in Europa bedeutet

von Jascha Weggartner and Sebastian Ochs | 12. März 2025 | Know-How, News

Die jüngsten Urteile des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) in der Rechtssache BSH Hausgeräte GmbH vs. Electrolux AB (C-339/22) und des Einheitlichen Patentgerichts (UPC) in der Rechtssache FUJIFILM Corporation vs. Kodak GmbH et al. (UPC_CFI_355/2023) haben die Reichweite grenzüberschreitender Patentstreitigkeiten in Europa erheblich erweitert. Diese richtungsweisenden Entscheidungen beeinflussen die strategischen Überlegungen zur Durchsetzung von Patenten, zur Zuständigkeit und zur gesamten Durchsetzungslandschaft von Rechten des geistigen Eigentums.

Entscheidung des EuGH in BSH vs. Electrolux

In diesem Fall leitete die BSH Hausgeräte GmbH (BSH), Inhaberin des europäischen Patents EP 1 434 512 für Staubsauger, ein Verletzungsverfahren gegen Electrolux AB in Schweden ein. Das Patent stand in mehreren Ländern in Kraft, darunter Österreich, Frankreich, Deutschland, Griechenland, Italien, den Niederlanden, Spanien, Schweden, der Türkei, und dem Vereinigten Königreich. BSH machte Unterlassungs- und Schadensersatzansprüche gegen Electrolux für alle diese Länder geltend.

Electrolux bestritt die Zuständigkeit des schwedischen Gerichts für die nicht-schwedischen Patente und machte geltend, dass das Gericht nicht befugt sei, über Verletzungsansprüche im Zusammenhang mit diesen ausländischen Patenten auf der Grundlage von Artikel 24 Absatz 4 der Brüssel-Ia-Verordnung zu entscheiden, zumal deren Bestand von Electrolux angegriffen wurde.

Artikel 24 Absatz 4 der Brüssel-Ia-Verordnung lautet wie folgt:

 

„Ohne Rücksicht auf den Wohnsitz der Parteien sind folgende Gerichte eines Mitgliedstaats ausschließlich zuständig:

(4) für Verfahren, welche die Eintragung oder die Gültigkeit von Patenten, Marken, Mustern und Modellen sowie ähnlicher Rechte, die einer Hinterlegung oder Registrierung bedürfen, zum Gegenstand haben, unabhängig davon, ob die Frage im Wege der Klage oder der Einrede aufgeworfen wird, die Gerichte des Mitgliedstaats, in dessen Hoheitsgebiet die Hinterlegung oder Registrierung beantragt oder vorgenommen worden ist oder aufgrund eines Unionsrechtsakts oder eines zwischenstaatlichen Übereinkommens als vorgenommen gilt.

 

Der EuGH entschied, dass die nationalen Gerichte für die Entscheidung über Verletzungsklagen auch dann zuständig sind, wenn der Bestand des Patents angegriffen wird. Artikel 24 Absatz 4 der Brüssel-Ia-Verordnung hat einen engen Anwendungsbereich und verbietet es den nationalen Gerichten lediglich, über den Bestand von Patenten zu entscheiden, die in anderen EU-Mitgliedstaaten in Kraft stehen. Das Verletzungsgericht kann allerdings die Aussetzung des Verfahrens beschließen, wenn es feststellt, dass eine vernünftige und nicht zu vernachlässigende Möglichkeit besteht, dass das jeweilige Patent von einem für das Nichtigkeitsverfahren zuständigen Gericht in einem anderen Mitgliedstaat für nichtig erklärt werden könnte.

Darüber hinaus befasste sich der EuGH mit der Konstellation, dass das Verletzungsverfahren das europäische Patent mit Wirkung für Nicht-EU-Mitgliedstaaten, wie der Türkei und dem Vereinigten Königreich, betrifft. Da Artikel 24 Absatz 4 auf Nicht-EU-Gerichtsbarkeiten keine Anwendung findet, entschied der EuGH, dass ein EU-Gericht auch eine Nichtigkeitseinrede in Bezug auf solche Patente prüfen kann, sofern kein bilateraler Vertrag eine ausschließliche Zuständigkeit vorsieht. Allerdings stellte das Gericht klar, dass eine Entscheidung über die Nichtigkeit in solchen Fällen lediglich inter partes-Wirkung entfaltet, also weder Dritte bindet noch den offiziellen Status des Patents in den ausländischen nationalen Registern verändert.

Entscheidung des UPC in FUJIFILM vs. Kodak

In einem weiteren aktuellen Fall reichte die FUJIFILM Corporation eine Verletzungsklage vor der Lokalkammer Düsseldorf des UPC gegen die Kodak GmbH und ihre zugehörigen Unternehmen ein, in der sie die Verletzung des Patents EP 3 594 009 B1 geltend machte, das sowohl in Deutschland als auch im Vereinigten Königreich in Kraft stand. FUJIFILM machte Unterlassungs- und Schadensersatzansprüche sowohl für Deutschland als auch das Vereinigte Königreich geltend. Kodak erhob daraufhin eine Widerklage auf Nichtigerklärung, allerdings nur für den deutschen Teil des Patents. Darüber hinaus bestritt Kodak auch die Zuständigkeit des UPC für den britischen Teil des Patents.

Das UPC entschied, dass das Gericht für die Verletzungsklage in Bezug auf das Vereinigte Königreich zuständig war, da die Beklagten ihren Sitz in einem UPC-Vertragsstaat (Deutschland) hatten. Das Gericht musste nicht entscheiden, ob es für eine Nichtigkeitsklage für das europäische Patent mit Wirkung für das Vereinigte Königreich zuständig war, da Kodak eine solche Widerklage nicht erhoben hatte. Allerdings deutete das Gericht an, dass es theoretisch zuständig sein könnte, über eine solche Klage zu entscheiden – eine abschließende Klärung dieser Frage erfolgte im vorliegenden Fall jedoch nicht.

Auswirkungen auf Strategien für Patentstreitigkeiten

Diese Entscheidungen haben erhebliche Auswirkungen auf grenzüberschreitende Strategien zur Patentdurchsetzung. Die Entscheidung des EuGH bekräftigt, dass nationale Gerichte Patentverletzungsklagen entscheiden können, selbst wenn dies mit Wirkung für andere Mitgliedstaaten gilt und eine Nichtigkeitseinrede erhoben wird. Gleichzeitig eröffnet der EuGH die Möglichkeit, dass nationale Gerichte in der EU Verletzungsverfahren zu Patenten mit Geltung in Nicht-EU-Staaten führen können, sofern kein entgegenstehender internationaler Vertrag existiert. Diese Entwicklung lässt jedoch Fragen hinsichtlich der Vollstreckbarkeit solcher Entscheidungen in Nicht-EU-Staaten offen.

In ähnlicher Weise unterstreicht die Entscheidung des UPC seine Reichweite, indem Klagen wegen Patentverletzung gegen Beklagte mit Sitz in UPC-Mitgliedstaaten auch dann entschieden werden können, wenn das betreffende Patent außerhalb des UPC-Systems validiert wurde.

Diese Entscheidungen können die Strategien der Kläger bei der Wahl des Gerichtsstands in künftigen Rechtsstreitigkeiten beeinflussen, da die Kläger die Vorteile der nationalen Gerichte gegenüber dem EPG in Bezug auf Kosten, Verfahrenseffizienz und den potenziellen Umfang der Rechtsdurchsetzung abwägen. Für die Beklagten wiederum besteht die Gefahr, dass eine Verletzungsklage sie zu mehreren nationalen Nichtigkeitsverfahren zwingt, was die Prozesskosten und die Komplexität erhöht. Darüber hinaus wird erwartet, dass diese Entwicklungen das „forum shopping“ verstärken, da Kläger Gerichte wählen werden, die als patentinhaberfreundlich angesehen werden.

Mit Blick auf die Zukunft könnten diese Entscheidungen eine weitere Harmonisierung der grenzübergreifenden Patentdurchsetzung in Europa fördern. Dennoch bleibt unsicher, wie sich diese Erweiterungen der Zuständigkeit in der Praxis auswirken werden und ob EU-Gerichte auch Ansprüche auf nicht-europäische Patente verhandeln können. Zudem bleibt abzuwarten, ob Gerichte in Nicht-EU-Staaten Entscheidungen von EU-Gerichten oder dem UPC zu nicht-europäischen Patenten anerkennen und durchsetzen werden. Die kommenden Jahre werden zeigen, ob diese Entscheidungen tatsächlich eine grundlegende Veränderung der grenzüberschreitenden Patentstreitigkeiten bewirken oder lediglich eine neue Ebene der Komplexität einführen. Unternehmen und Rechtsberater müssen diese Entwicklungen aufmerksam verfolgen, ihre Strategien entsprechend anpassen und die sich bietenden Chancen optimal nutzen.

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